25 Jahre Mareiner: Eine lange Geschichte
Man sollte eine Landschaft nie rein wirtschaftlich betrachten. Tut man es trotzdem, muss man sagen: Das Mürztal ist eine klassische Rohstoffgegend. Nicht nur, weil der Erzberg so nahe ist, sind in Kapfenberg schon 1446 die ersten Hammerwerke entstanden. Sondern auch, weil mit der Mürz für Wasserkraft gesorgt war. Und mit den üppigen Wäldern für die Holzkohle, auf welche die frühe obersteirische Eisenindustrie angewiesen war.
Holzkohle aber gibt es nur, wenn der Wald bewirtschaftet und Holz gemacht wird. Davon zeugt auch das Gemeindewappen von Sankt Marein, auf dem ein Sägeblatt prangt. Wie lange schon Holz in Sankt Marein verarbeitet wird, wissen wir selbst nicht. Aber wir wissen, wer das Fundament der Holzverarbeitung im großen Stil errichtet hat: Der 1843 geborene Alois Posch, dem trotz seiner unehelichen Herkunft eine beachtliche Laufbahn beschieden war. Von seinem leiblichen Vater erbt Posch einen großen Hof, den er geschickt um zusätzlichen Besitz erweitert.
Grüner Strom an der Graschnitzbrücke
Posch, der auch politisch Karriere macht – er fungiert unter anderem als Gründungsmitglied und erster Obmann des Steirischen Bauernvereins, Mareiner Bürgermeister, Abgeordneter zum Landtag in Graz und zum Reichstag in Wien –, erwirbt unter anderem auch eine Mühle und eine Säge an der Graschnitzbrücke. Beide betreibt er schon früh mit elektrischem Strom aus zwei Wasserkraftwerken, von denen das erste an der Graschnitzbrücke bereits 1885 in Betrieb gegangen sein soll. Sicher verbürgt ist, dass das zweite E-Werk in der Au ab 1902 den Strom liefert, mit dem in ganz Marein die Lichter angehen. Genau betrachtet, ist die Posch-Säge in puncto Nachhaltigkeit also bereits ein ziemlich moderner Betrieb gewesen.
Die Mattnersiedlung und ein Kuriosum
Es sollte aber noch bis in die 1930er-Jahre dauern, bis so richtig Schwung in das örtliche Holzgeschäft kam. 1932 – oder 1934 – macht sich Adolf Mattner als „Sagler“ selbstständig und verschneidet in der Posch-Säge wieder Rundholz. Lange kann sich Mattner des regen Treibens dort nicht erfreuen: Er verstirbt 1939. Sein Sohn Adolf Mattner junior übernimmt zusammen mit seinem Schwager Alois Allinger. Das Auftragsbuch füllt sich, die Umsätze steigen und die Mattner Säge muss laufend Personal einstellen. Das wiederum verlangt nach Wohnraum, den es in Sankt Marein nicht gibt. Daher errichtet Mattner ab 1939 eine eigene Werkssiedlung. Kurioserweise geht der Grundstückskauf für die Mattnersiedlung – wie sie noch heute heißt – erst 1941 offiziell über die Bühne. Zu einem Zeitpunkt, als die halbe Siedlung bereits gebaut ist. Als alles fertig ist, stehen 36 Wohnungen und acht sogenannte „Burschenzimmer“ zur Verfügung. Dass es in jeder Wohnung über fließendes Wasser hinaus auch ein eigenes WC und ein Bad gibt, ist damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Die goldenen Jahre
Nach dem Zweiten Weltkrieg brechen die goldenen Jahre an: Allinger und Mattner investieren mit vollen Händen – unter anderem in das damals mögliche Maximum an Automatisierung. Rund 40.000 Festmeter Nadelholz bringt „der Mattner“, wie die Firma im Umkreis genannt wird, an Einschnittleistung zusammen – für damalige Verhältnisse eine imposante Menge.
Beeindruckend ist aber auch, dass sich Mattner schon in den 1950er-Jahren noch vor dem Beginn des sogenannten Wirtschaftswunders Richtung Export orientiert. Walter Allinger knüpft die Geschäftsbeziehungen nach Italien und vor allem in den Nahen Osten: Nachdem Mattner schon in die Türkei und nach Algerien geliefert hat, werden Saudi-Arabien, Kuweit, Dubai und der Oman die nächsten Märkte. Schrittweise kommen der Iran und der Irak, Libyen und der Jemen dazu. Mattner mausert sich zu Österreichs größtem Holzexporteur und darf als ausgezeichneter Leitbetrieb sogar das Staatswappen führen.
Am Kai von Koper
Baulich schlägt sich der Boom von Sankt Marein auch im Handelshafen der slowenischen Küstenstadt Koper nieder, den Mattner noch lieber als die Häfen von Triest und Rijeka für den Export nutzt. Unter Kapitaleinsatz von Mattner werden in Koper eigene Lagerhallen für das österreichische Holz gebaut. In den 1980er-Jahren erreicht Mattners stetige Expansion mit 70.000 Festmetern Einschnittgröße ihren Zenit. Großen Anteil am Erfolg des Familienunternehmens hat Elsa Mattner, an deren hochentwickeltes soziales Verantwortungsgefühl sich ältere Menschen in Sankt Marein noch heute lebhaft erinnern können.
Trotz ihrer Güte kommt es innerhalb der beiden Familien im Unternehmen zu einem Zerwürfnis: 1988 wird das Unternehmen in die Gesellschaften Allinger-Mattner Holzindustrie und die Dr. Adolf Mattner Holzindustrie aufgespalten. Der Allinger-Zweig kümmert sich um Handel und Export, die Mattner-Seite um das Sägewerk.
SCheidung mit Genickbruch
Über der Trennung steht kein guter Stern: Sowohl der alte Mattner als auch der alte Allinger sterben noch im gleichen Jahr, und beide Unternehmen geraten rasch in Turbulenzen. „Im Sägewerk hat man die technische Entwicklung verschlafen und es verabsäumt, die nächste Stufe zu erklimmen“, weiß Mareiner-Gründer Hannes Dietrich, der wenig später in Sankt Marein auftauchen wird.
„Als dann investiert wurde, sind leider einige folgenschwere Fehlentscheidungen getroffen worden, die Mattner schließlich das Genick gebrochen haben.“ Besagter Genickbruch folgt 1994, als die Mattner Holzindustrie Insolvenz anmelden muss. Die einstige Schwestergesellschaft ist da schon einige Jahre zuvor vom Markt verschwunden und im Imperium der Mayr-Melnhofs aufgegangen.
Dr. Meysel, bitte
Damit ist der vorläufige Tiefpunkt der örtlichen Holzindustriegeschichte erreicht. Eine Trendwende erhofft man sich weit über den Ort hinaus von Dr. Siegfried Meysel: Als ehemaliger Generaldirektor sowohl des Papierherstellers Leykam als auch der OMV bringt der honorige Steirer jede Menge Managementerfahrungen und ein ausgedehntes Netzwerk mit, als er die Überbleibsel von Mattner übernimmt und daraus die Mürztaler Holzindustrie mit dem Kürzel MHI macht. Als er im Chefbüro alte Bewerbungsunterlagen sichtet, wird er bei einem Namen stutzig: Der Name Dietrich ist ihm wohlvertraut. Meysel greift zum Hörer und vergewissert sich, dass es sich bei dem jungen Holzfachmann mit Vornamen Hannes tatsächlich um den Sohn jenes Försters handelt, der seit Jahren Meysels Jagdrevier betreut.
Produktionsleiter Dietrich
Nach einem Kennenlerngespräch heuert Meysel Dietrich als Produktionsleiter an. Für Dietrich brechen lehrreiche Monate an. „Von Doktor Meysel habe ich gelernt, wie man unternehmerisch denkt und agiert“, sagt er heute. Das Engagement in Sankt Marein durchkreuzt Dietrichs Pläne, der in Frohnleiten als Spross einer Dynastie von Jägern, Förstern und Forstwirten aufwächst und sein Maturazeugnis am neusprachlichen Gymnasium des Grazer Stadtteils Liebenau erarbeitet. „Danach habe ich die Matura gleich noch einmal gemacht und drei Jahre lang das Holztechnikum Kuchl besucht“, erzählt Dietrich, der die Zeit im Salzburgischen in bester Erinnerung hat.
Nach dem Bundesheer heuert der Doppelmaturant folgerichtigerweise gleich in der Holzbranche bei der Firma Leitinger in Predig an: „Dort war ich eigentlich für Russland vorgesehen, aber ich bin dann doch lieber der Einladung vom Doktor Meysel gefolgt.“
Von Meysel lernt Dietrich aber auch, was man lieber vermeiden sollte: „Die zehn Millionen Schilling, die in die Erneuerung des Sägewerks investiert wurden, waren zwar viel Geld, aber bei Weitem nicht genug. Das hat dazu geführt, dass inmitten der veralteten Anlagen einige brandneue gestanden sind und nichts miteinander zusammengepasst hat.“ Die traurige Konsequenz: Auch einer Koryphäe wie Meysel misslingt die Sanierung der Säge. 1996 tritt auch die Mürztaler Holzindustrie den Gang zum Konkursrichter an.
wie sehr es darauf ankommt, sein Ziel im Blick zu behalten.
Aus jugendlichem Leichtsinn
Was dann folgt, lässt Hannes Dietrich noch heute staunend den Kopf schütteln: Voll jugendlichem Enthusiasmus und einer ordentlichen Portion Leichtsinn wirbt Dietrich für den Weiterbestand der Säge. Und gewinnt mit Bert Windisch, Franz Hölbling und Norbert Harrer drei Mitstreiter und Mitgesellschafter, mit denen er Mattners und Meysels Erbe antritt und unter dem Namen „Die Säge St. Marein“ weiterführt. Schnell eröffnen die Jungunternehmer den heute noch bestehenden Holzmarkt, um ein zweites Standbein auf den Boden zu bringen. Der Boden der wirtschaftlichen Realität ist hart genug: „Auf einmal sind wir da zu viert allein auf dem riesigen Betriebsgelände gewesen und mit dem ganzen Misstrauen der Lieferanten konfrontiert gewesen, die nach zwei Konkursen in zwei Jahren keinen Groschen auf uns gewettet hätten.“
Das Büro im Pausenraum
Zur allseitigen Überraschung erweist sich das Quartett als beharrlich und zäh, was in dieser Situation auch unbedingt notwendig ist: „Unser erstes Büro war der heutige Pausenraum und die Spinde darin waren unsere Aktenschränke. Der Kopierer hat eine Minute für jedes Blatt gebraucht und den Tisch zum Wackeln gebracht. Im Sommer war es ab vierzehn Uhr so unerträglich heiß, dass du mit der Büroarbeit aufhören müssen hast.“
In kleinen Schritten berappelt sich das Unternehmen und entwickelt sich – wirtschaftlich wie in puncto Sortiment. „Ich habe immer nach Wegen gesucht, mehr Wertschöpfung zu erzielen“, erklärt Hannes Dietrich. Ein Kunde, der nach veredelten Brettern fragt, bringt die Mareiner Säge auf den Weg: Die fängt an, ihre Bretter auch gehobelt anzubieten. Oft genug legt Hannes Dietrich nach Büroschluss spätabends selbst noch eine Sonderschicht an der Maschine ein, wenn es die Auftragslage erfordert.
Ein filmreifer Glücksfall wird dem Unternehmen zuteil, als eines Tages ein französischer Holzimporteur anklopft, der in Österreich nach Lieferanten sucht. Die Mareiner-Bretter finden seinen Gefallen, die Manufakteure ihren ersten internationalen Handelspartner.
Im Betrieb wird dennoch an allen Ecken und Enden gespart: „Ein nur einseitig beschriftetes Blatt Papier wegzuwerfen, war total tabu – im Papierkorb sind nur beidseitig beschriftete Zettel gelandet.“
Andererseits wird aber auch investiert: in Anlagen und Maschinen. Einen Meilenstein sieht Hannes Dietrich im Kauf des heutigen Bürogebäudes, den Mareiner 2006 tätigt – ein Quantensprung in der Qualität der Arbeitsbedingungen.
Vom Sägen zum Veredeln
Sukzessive wird aus dem Sägewerk ein Holzveredelungsunternehmen. Sehr zur Freude von Chef Dietrich, der sagt: „Ich bin kein Sagler. Das Preisverhandeln und Feilschen mit den Bauern, ob das jetzt ein A- oder B-Bloch ist, hat mir nie Freude gemacht.“ Am 13. Februar 2011 – das weiß Hannes Dietrich auf den Tag genau – läuft das letzte Bloch durch die Säge. Dann ist Schluss mit dem reinen Zuschneiden und Mareiner ist seither ein reiner Holzveredler, der gestärkt aus der großen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und 2009 hervorgeht. Die gut überstandene Krise hat sich tief ins kollektive Unternehmensgedächtnis eingegraben: „Mit einem Mal haben wir 60 % weniger Umsatz gemacht, da geht es ans Eingemachte und du hast echte Existenzsorgen.“
Schwergetan hat sich Mareiner auch mit der ersten Hausbank, die dem Wachstum des Unternehmens wiederholt im Weg gestanden ist. „Seit dem Bankenwechsel 2016 haben wir den Spielraum, den wir vorher nicht gehabt haben“, freut sich Hannes Dietrich, der dem 25-jährigen Jubiläum persönlich keine besondere Bedeutung beimisst. Viel zu klar hat er den Holzweg zum Ziel vor Augen, Komplettanbieter im dekorativen Bereich zu werden, als dass er Muße für eine allzu intensive Rückschau hätte: „Was ich in der Zeit mit Mareiner unter anderem gelernt habe, ist, wie sehr es darauf ankommt, sein Ziel im Blick zu behalten.“